Das Weihnachtsmärchen der Lady Craven

TRIESDORF – Es war der populäre Eulenspiegel Verlag für Satire und Humor aus Ost-Berlin, der 1982 das Buch der englischen Schriftsstellerin Lady Elizabeth Craven mit Nachwort unter dem Titel Anekdote aus der alten Familie als Nachdruck neu herausgab. Die deutsche Originalausgabe erschien 1781 in der Messestadt Leipzig im Schwickertschen Verlage als Weihnachtsmärchen. Leider stellte sich der Bearbeiter Gerhard Steiner über 200 Jahre später nicht die entscheidende Frage, wie denn dieser unerhörte Vorgang ursprünglich vor sich ging. Eine bis dato in Deutschland unbekannte englische Aristokratin, die mit einer Satire über Deutschland in den deutschen Markt einsteigt.

Lady Craven, die spätere Markgräfin von Ansbach-Bayreuth
Die englische Schriftstellerin Lady Elisabeth Craven, die spätere Markgräfin von Brandenburg-Ansbach und Bayreuth.

In seinem Nachwort erzählt Gerhard Steiner dafür lang und breit das Leben des Johann Carl Wezel, indem er den Übersetzer vorstellt: „Der die vorstehende Geschichte als Übersetzer dem deutschen Publikum zugänglich machte, war selbst ein vielseitiger und bedeutender Dichter: Johann Karl Wezel. (Berlin [Ost] 1982, S. 77). In Steiners Erzählung soll also Wezel das schon 1779 in London erschienene Buch zufällig gefunden, übersetzt und veröffentlicht haben – und das alles, ohne die Autorin gekannt zu haben. Dies erscheint ziemlich unwahrscheinlich, hat doch eben dieser Wezel ein paar Jahre später die Briefe der Lady Craven über eine Reise durch die Krimm nach Konstantinopel ebenfalls übersetzt, die wiederum in der Buchstadt erschien: Leipzig, bey Paul Gotthelf Kummer, 1789.

Johann Carl Wezel ist englischer Übersetzer

Es ist Beatrix Langer, die in ihrer Biografie über den großen Schriftsteller Jean Paul anmerkt: „Spätestens 1789 las (Johann Paul Friedrich) Richter Lady Cravens Briefe über eine Reise durch die Crimm nach Konstantinopel. Dieselbe Lady Craven spielte ab 1785 als Mätresse des Markgrafen Karl Alexander in der Landesgeschichte von Ansbach-Bayreuth eine gewichtige Rolle.“ (München 2013, S. 545). Wezel war also ein Bekannter von Jean Paul und arbeitete als englischer Übersetzer. Wahrscheinlich um sich neuen Stoff zu besorgen, reiste er nach England. „[Johann Carl] Wezel, der Leiziger Swift, verdiente sein Brot als Übersetzer aus dem Englischen. Er hatte (mit großer Wahrscheinlichkeit) einige Zeit in London gelebt, dort die Schriftstellerin Elizabeth Craven kennengelernt und deren Weihnnachtsmärchen, eine Satire auf die Deutschen, übertragen.“ Lady Craven hatte sich schon vorher von ihrem Mann getrennt und baute sich als Theaterautorin und Schriftstellerein in London ein neues Leben auf.

Es stellt sich jetzt also die Frage, wie der Markterfolg am Messeplatz Leipzig für ein Buch einzuschätzen war, welches sich über die Deutschen lustig macht? War es überhaupt verkäuflich? Die Sache sieht aber anders aus, denn wir dieses Weihnachtsmärchen tatsächlich lesen. Es beginnt wie folgt: „Im Mittelpunkte Deutschlands lebte ein Baron, der einzige männliche Rest von der alten Familie der Kinkvervänkotsdärspräksgotschderns; und dieser ehrwürdige Name ging mit ihm ins Grab.“ Die Lady Craven machte sich also über einen deutschen Aristokraten lustig. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ein DDR-Verlag 201 Jahre nach dem Erstdruck ein Buch aus der Zeit des untergegangenen Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation neu herausgibt, welches mit der Geschichte der BRD zu tun hat.

In seinem Nachwort fasst Gerhard Steiner allerdings die Sache richtig zusammen: „Um den durch ihre Trennung heraufbeschworenen Mißhelligkeiten zu entgehen, besuchte Lady Craven, nachdem sie vier weitere Stückte verfaßt hatte, mit ihrem Sohn Keppel, der wohl nicht ein Kind des Lords Craven war, Frankreich und wurde in Paris von dem sich dort vergnügenden 14 Jahre älteren Markgrafen Christian Friedrich Karl Alexander von Ansbach und Bayreuth in seine deutsche Residenz eingeladen. Lady Craven hatte jedoch offensichtlich das Gefühl, daß sie zunächst ihrer gewonnenen Selbstständigkeit Inhalt und Rückhalt geben müßte, und unternahm eine große, mehr als drei Jahre währende Reise, die sie durch Frankreich, Italien, Österreich und Polen nach Petersburg und von dort über die Krim nach Konstantinopel und Griechenland führte und ihr nicht nur Erfahrungen und Erkenntnisse, sondern auch gesellschaftliche Genugtuungen einbrachte.“ Ergebnis dieser Reise wurde der oben schon erwähnte Briefroman einer Reise in den Orient.

Lady Craven veröffentlicht ihr Buch in Leipzig

Zwischen der Veröffentlichung des Weihnachtsmärchens der Lady Craven in Leipzig 1781 und der Einladung an den Hof des Markgrafen von Ansbach-Bayreuth besteht allerdings eine erhebliche Zeitdifferenz. Der Alexander-Biograf Arno Störkel schreibt: „Mylady [Lady Craven], die mittlerweile auch literarisch als Verfasserin mehrerer Bühnenstücke auf sich aufmerksam gemacht hatte, war also beileibe kein unbeschriebenes Blatt mehr, als sie 1784 (eventuell auch bereits 1783) in Paris mit [Markgraf] Alexander zusammentraf, der wieder einmal die Saison in der Hauptstadt der eleganten Welt zubrachte.“ (Ansbach 1995, S. 222). 1783 ging die Lady in Paris. „Dort residierte sie fast zwei Jahre unter noblen Bedingungen bei Bekannten in Paris und empfing neben anderen Gästen Christian Friedrich Karl Alexander, Markgraf von Ansbach-Bayreuth, als dessen Schwester sie sich bezeichnete, obwohl der intime Charakter ihrer Beziehung bereits Gesprächsgegenstand war.“ Das schreibt Susanne Franke in ihrem Buch über die Reisen der Lady Craven (Trier 1995. S. 41).

Wir können also vermuten, dass das Weihnachtsmärchen der Einstieg der Lady Craven in den deutschen Markt war, der von ihr selbst finanziert worden ist. Dafür spricht, dass das Buch klein und schmal ist – und somit vermutlich auch das Budget es war. Ziel sollte offensichtlich nicht der Markt, sondern vielmehr Markgraf Alexander sein. Dieser war es dann ja in Paris, der auf die Lady Craven aufmerksam wurde und sie dann auch an seinen Hof nach Triesdorf einlud. Das Weihnachtsmärchen der Elizabeth Craven wurde schließlich also Wirklichkeit.

Carl-Alexander Mavridis

Literatur:

Elizabeth Craven, Anekdote aus der alten Familie. Ein Weihnachtsmärchen. Berlin [Ost] 1982

Elizabeth Craven, Briefe einer Reise in die Türkeÿ 1785/1786, Nachdruck der deutschen Erstausgabe Leipzig 1789 mit Einführung, Ansbach 2010

Susanne Franke, Die Reisen der Lady Craven durch Europa und die Türkei 1785-1786, Trier 1995

Christoph Links, Das Schicksal der DDR-Verlage. Die Privatisierung und ihre Konsequenzen, Berlin 2010, 2. Auflage

Beatrix Langer, Jean Paul. Meister der zweiten Welt, München 2013

Arno Störkel, Christian Friedrich Carl Alexander. Der letzte Markgraf von Ansbach-Bayreuth, Ansbach 1995

Verein der Freunde Triesdorf und Umgebung e. V. (Hg.), Markgraf Alexander und sein Hof zu Triesdorf, Triesdorf 2022 (Triesdorfer Heft Nr. 11)

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