Leopoldo Rettÿ – Baumeister und Architekt im Ansbachischen und in Württemberg.

Leopoldo Rettÿ –  Baumeister und Architekt im Ansbachischen und in Württemberg Schloss Ansbach| Hohenzollern Residenz
Markgraf Carl Wilhelm Friedrich holt den Baumeister und Architekten Leopoldo Rettÿ aus Ludwigsburg nach Ansbach. Seine Hauptaufgabe ist die Fertigstellung der Residenz Ansbach. Heute gilt das Schloss Ansbach als das nach Würzburg bedeutendste Barockschloss in Franken. Foto: Ansbachische Markgrafenstraße.

Am 5. Januar 1731 tritt Leopoldo Rettÿ seine Stelle als Hofbaumeister am Markgrafenhof von Ansbach an. Rettÿ verdrängt dabei seinen Vorgänger Carl Friedrich von Zocha aus seinem Amt. Doch nicht nur das. Zocha rechte Hand, Johann David Steingruber, fühlt sich durch Rettÿs Auftritt zurückgesetzt, sieht sich doch Steingruber selbst als der natürliche Nachfolger Zochas. Wer war Leopoldo Rettÿ?

Über Leopoldo Rettÿ ist bis heute nur wenig erforscht. Unbekannt ist selbst sowohl sein Geburtstag, als auch sein Geburtsort. Vermuten die meisten Autoren das italienische Laino bei Como im ehemaligen Herzogtum Mailand als Geburtsort Rettÿs, so entwickelte Rolf Bidlingmaier 1997 in einem Aufsatz die Theorie, nach der das österreichische Wien als Herkunftsort Rettÿs gelten muss. In Wien arbeitete nämlich in der fraglichen Zeit 1703/1704 Rettÿs Onkel Giuseppe Donato Frisoni, der Bruder seiner Mutter, am Hof des deutschen Kaisers Leopold I. von Habsburg-Österreich. Frisoni, ursprünglich Stukkateur und später dann Architekt, wird später Rettÿs Lehrmeister sein. Freilich ist auch über Frisoni in Wien bislang wenig bekannt. Allein die Tatsache, dass er als Vater einer nichtehelichen Tochter am 14. April 1706 in dem Kirchenbuch von St. Ulrich zu Wien erscheint, zeigt seine enge Verbindung zur Haupt- und Residenzstadt Wien, wie Martin Poszgai aufzeigt.

Rettÿ ein deutscher Staatsbürger aus italienischer Nation

Für diese Theorie spricht zum einen der adaptierte Vorname Leopoldo als Referenz an den Kaiser und zugleich Frisonis Arbeitgeber, eine zur damaligen Zeit übliche Vorgehensweise. Zum anderen spricht für Wien das für Rettÿ auffallend deutsche Selbstverständnis: Zeit seines Lebens schreibt er seinen Namen auf deutsche Art und Weise mit „ÿ“ – dem deutschen i, einem Ypsilon mit zwei Pünktchen (durch die Veränderung wird aus dem griechischen Buchstaben ein deutscher) – und eben nicht Retti mit „i“, wie es die italienische Schreibung verlangt. Deshalb ist die bisherige Klassifizierung als „italienischer Baumeister“ (Karl-Heinz Kurzidem 2001) zu kurz gegriffen. Tatsächlich muss es nach aktuellem Stand heißen: Rettÿ ist ein deutscher Baumeister aus italienischer Nation.

Am 5. Mai 1704 findet die Grundsteinlegung in Erlachshof nördlich von Stuttgart statt für ein „rechtes Jagdhaus“, also einem repräsentativen Barockschloss. Auftraggeber für das Projekt ist Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg. Seinen Namen wird das Schloss und die spätere Stadt dann erhalten: Ludwigsburg. Drei Architekten sind an dem Bau beteiligt. Der junge Marbacher Theologe Philipp Joseph Jensch, vor allem aber der aus Norddeutschland stammende Pionieroffizier Johann Friedrich Nette und Rettÿs Onkel Donato Giuseppe Frisoni. Mit Frisoni kommen neben Leopoldo Rettÿ auch seine älteren Brüder Riccardo, Livio und Paolo Retti nach Ludwigsburg, um dort Schloss und Stadt als Maler, Bildhauer, Stukkateur, Baumeister und Bauunternehmer mit auf- und auszubauen.

Onkel Donato Giuseppe Frisoni geht nach Ludwigsburg


Mit dem Tod Nettes 1715 übernimmt Frisoni den Posten des Schlossbaumeisters, wobei er sich u. a. gegen Carl Friedrich von Zocha durchsetzt, und beteiligt seinen Neffen Paolo Retti mit dem Einverständnis des Herzogs als Bauunternehmer am Schlossbau. Immer mehr Verwandte Frisonis siedeln sich in Ludwigsburg an, zumal sich die Vorstellungen Eberhard Ludwigs „ins Riesenhafte“ (Bidlingmaier 1997) steigern. In Ludwigsburg entstehen im Laufe der Zeit eine Vierflügelanlage mit 452 Räumen in zusammen 18 Gebäuden. In dieser lebendigen, kreativen und bauhandwerklichen Welt, wobei auch immer alles in der Familie bleibt, erlernt Rettÿ schließlich sein Fach und legt den Grundstein für seine Karriere.

Nach seiner zweijährigen Studienreise durch Italien und Frankreich wird der junge Leopoldo Rettÿ 1726 zum herzoglich-württembergischen Baumeister ernannt. Tatsächlich können wir heute seinen großen handgezeichneten Plan „Ansicht von Schloss Ludwigsburg“ aus demselben Jahr als Probearbeit seiner Kunst ansehen. Denn direkt nach seiner Ankunft im Herzogtum Württemberg arbeitet der Architekt als Partner am Ludwigsburger Schlossbau mit. Zwei Jahre später wird das gesamte Stadtbauwesen der neugegründeten Stadt Ludwigsburg vom Schlossbau getrennt. Und Leiter der neuen Abteilung wird Leopoldo Rettÿ. Neben der Ludwigsburger Stadtplanung zeichnet der Baugestalter auch verantwortlich für die Zwillingstürme der evangelischen Stadtkirche in der Ost-West-Achse des Marktplatzes.

Im Jahr 1729 stirbt die Ansbacher Regentin und Markgräfin Christiane Charlotte, eine geborene Prinzessin von Württemberg. Nachfolger wird ihr Sohn Carl Wilhelm Friedrich im Alter von erst 17 Jahren und plant die Fertigstellung seiner Residenz samt großartiger Erweiterung und Modernisierung seiner Residenzstadt Ansbach. Er hält Ausschau nach einem fachkundigen und talentierten Vollblutarchitekten mit Berufserfahrung. Fündig wird der junge Markgraf am Hof seines Verwandten Herzog Ludwig Eberhard in Ludwigsburg: Leopoldo Rettÿ.

Denn im Markgraftum Brandenburg-Ansbach hatten zu viele Bauprojekte ihrer Vollendung. Und zu groß ist die Aufgabe für den bisherigen Obristbaumeister Carl Friedrich von Zocha, der zwar theoretische Kenntnisse der damaligen neuesten Architektur besitzt, aber von praktischer Bauleitung und –durchführung nichts versteht. Was Wunder auch, studierte Zocha doch zunächst Rechtswissenschaften in Gießen, Halle an der Saale und Leyden (Holland), bildete sich fort in England bevor er sich der Mathematik und Architektur in Paris widmete.

Residenz Ansbach ist Hauptaufgabe

Ab 1731 in Rettÿ in Ansbach, ein Jahr später ernennt ihn der Markgraf zum Baudirektor. Diese Beförderung steht in direktem Zusammenhang mit dem endgültigen Weggang seines Vorgängers: Zocha wird Minister und zugleich Oberamtmann von Crailsheim, eines „der größten und einträglichsten Ämter“ innerhalb des Fürstentums (Scholl 1930). Wichtigste Aufgabe ist die Vollendung der Ansbacher Residenz, also dem Markgrafenschloss, und anderer unter Zocha begonnener, aber nicht fertiggestellter Vorhaben. Liegen geblieben waren außerdem auch Neubauten wie der Orangerie und dem Zuchthaus in Ansbach sowie dem Falkenhaus im Tiergarten Triesdorf, dem bevorzugten Jagdgebiet 15 Kilometer außerhalb der Residenzstadt. Für Joseph Maria Ritz ist Rettÿ der wichtigste Architekt Ansbachs. „In Ansbach folgte auf Gabrieli und Zocha als Hauptarchitekt Leopold Retty, der den schönen, vornehmen Bau der Organgerie, wie auch das Schloß, nach Würzburg das bedeutendste in Franken, vollendet hat.“ (Ritz 1931).

Auf seiner Studienreise zu den großen Schlossbauten in München, Köln und Mannheim lernt der „umsichtige und energische Architekt“ (Schumann 1980) unterwegs seine spätere Ehefrau Anna Clara Darni aus Mainz kennen. Am 6. Juli 1733 findet die Hochzeit der beiden statt. Insgesamt elf Kinder gehen aus dieser Verbindung hervor, wobei ein Sohn und eine Tochter sehr früh versterben. Sogar eine Totgeburt haben die Eltern zu beklagen und zu verkraften.

Im Jahr 1734 plant Rettÿ die Umgestaltung des markgräflichen Tiergartens Triesdorf in eine barocke Sommerresidenz absolutistischer Prägung. Ähnlich dem Schloss Karlsruhe sollte die Anlage von einem zentralem Schloss beherrscht werden mit Jagdstern im Norden und Gärten mit Wasserspielen im Süden. Somit sollte Triesdorf tatsächlich als Jagdsitz mit Jagdschloss zu einer Sommerresidenz französischem Vorbilds weiterentwickelt werden. Dazu kommt es aber nicht. Vielmehr wird der Jagdsitz ausgebaut zu einem klassischen Landsitz englischer Prägung. Anstatt einem herrschenden Zentralbau mit dienenden Nebenbauten entstehen in Triesdorf eine Reihe von im Grund gleichrangigen Gebäuden. Es siegt also die dezentrale, demokratische Lösung gegenüber der zentralen, absolutistischen.

Dass das englische Thema tatsächlich in Triesdorf und damit in der Markgrafschaft Ansbach aufgegriffen wird, kommt nicht von ungefähr. Rettÿ hat Kontakt zum Baubüro des englischen Königshofs. Denn seit 1727 sitzt eine Ansbacherin auf dem englischen Thron: Königin Caroline von England und Großbritannien, eine Prinzessin aus dem Hause Brandenburg-Ansbach. Die Wandlung Triesdorf von einer geplanten Sommerresidenz hin zu einem klassischen Landsitz zu einer Art „Stadt“, indem das Nachbardorf Weidenbach baulich in den Landsitz einbezogen wird. So entsteht in Weidenbach etwa die markgräfliche Hofkirche. Rettÿ muss somit heute als deutscher Architekt des barock-klassizistischen Übergangsstils anerkannt werden.

Aufträge als freier Architekt

Neben den markgräflichen Bauten, Garten- und Stadtplanungen in Ansbach, Schwabach, Triesdorf, Bruckberg, Unterschwaningen, Merkendorf und anderswo übernimmt Rettÿ auch häufig Aufträge privater Bauherren. So tritt neben die Stelle als staatlicher Hofbaumeister auch die Arbeit als freier Architekt. 1733 übernimmt er mit Schloss Dennenlohe für Paul Martin Eichler von Auritz sein erstes privates Bauvorhaben. 1736 folgt Schloss Lindenbrunn nahe Langenburg, das spätere Ludwigsruh, als Sommerhaus für den Grafen Christian Albrecht von Hohenlohe-Langenburg. Ein Jahr später ist das kleine Schloss für Ernst Wilhelm Anton von Heydenab an der Reihe, 1738 Schloss Kirchberg an der Jagst für Carl August Graf von Hohenlohe-Kirchberg. Für Johann Wilhelm Gottfried von Seckendorff-Gudent erstellt Rettÿ das Rote Schloss in Obernzenn, im darauf folgenden Jahr das Schloss Eschenau in der heutigen Gemeinde Obersulm bei Heilbronn für den württembergischen Oberkriegskommissar Johann Melchior von Killinger.

Interessant hier ist festzustellen, dass Rettÿ bei staatlichen Aufträgen mit seinem späteren Nachfolger in Ansbach Johann David Steingruber (seit 1734 Landbauinspektor) zusammen arbeitet. Für private Aufträge stützt sich der Architekt lieber auf den Ansbacher Hofmaurer Michael Braunstein als Bauunternehmer. Später, Rettÿ ist mittlerweile in Stuttgarter Diensten, plant der Architekt im Winter 1749/1750 für Markgraf Carl Friedrich von Baden-Durlach einen Neubau zum bisherigen Residenzschloss in Karlsruhe. Zwar kommen diese Planungen nicht zur Umsetzung, doch kann Rettÿ ein anderes Projekt für den badischen Regenten durchführen: Schloss Stutensee nahe Karlsruhe.

Rettÿ baut Synagoge

Auch Kirchen baut Rettÿ als freier Architekt. 1739 plant er die evangelische Pfarrkirche in Sommerhausen am Main, 1743 die Synagoge in Ansbach und 1737 die katholische Kirche in Sondernohe nahe Flachslanden. Es bleibt dort allerdings bei den Planungen, Erbaut wird in Sondenohe unter seiner Regie 1747 lediglich das dazugehörige Pfarrhaus.

Im Jahr 1744 übernimmt der erst 16jährige Prinz Carl Eugen von Württemberg als Herzog die Regierung in Stuttgart. Allerdings fordert er von den württembergischen Ständevertretung, der Landschaft, eine „standesgemäße Wohnung“: ein repräsentatives Schloss. Um den Herzog, den Hofstaat und die Verwaltung in Stuttgart zu halten und somit einen Abzug nach Ludwigsburg zu verhindern, wird ihm dieser Wunsch genehmigt. Als Architekt beruft Carl Eugen den inszwischen in Stuttgart bekannten Leopoldo Rettÿ, der vorerst Hofbaumeister für die Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach bleibt.

Neuer Großauftrag ist Stuttgart

Am 3. September 1744 kommt es zur feierlichen Grundsteinlegung für das Neue Schloss in Stuttgart. Während Rettÿ für die Planungen zuständig ist, liegt die örtliche Bauleitung bei dem württembergischen Oberbaudirektor Johann David Leger. Jedoch funktioniert die Zusammenarbeit der beiden nicht. 1748 wird Leger aus der Bauabteilung entlassen und im selben Jahr siedelt Rettÿ von Ansbach nach Stuttgart über.

Gerade einmal das Hauptgebäude, das sog. Corps des Logis, sowie der Gartenflügel des Neuen Schlosses in Stuttgart sind im Äußeren fertig gestellt, als Leopoldo Rettÿ am 18. September 1751 im Alter von 47 Jahren in Stuttgart stirbt und im Familiengrab in Oeffingen (heute Stadt Fellbach) beigesetzt wird. Um den Weiterbau am Neuen Schloss in Stuttgart kümmert sich fortan der in Paris ausgebildete Philippe de La Guepière, den Rettÿ bereits auf einer Studienreise durch Holland und Frankreich 1750 kennenlernte.

Neues Museum in Ansbach

Aktuell wird das sog. Retti-Palais, einem Stadtschloss in Ansbach, das Rettÿ ab 1745 als Bauträger („Particulier“, Scholl 1930, S. 82) für den starken Mann am Ansbacher Markgrafenhof, den „K. K. Wirklichen Geheimen Rath“ Christoph Ludwig von Seckendorff-Aberdar, Oberamtmann von Heilsbronn und Präsident des Administrationskollegiums der Grafschaft Sayn-Altenkirchen, erbaute, höchst aufwändig restauriert. Der Ansbacher Retti-Verein will in dem Haus nach Abschluss der Restaurierung und erheblicher Erweiterung ein Museum einrichten, um an den Baumeister und Architekten Leopoldo Rettÿ und seine Bedeutung für Ansbach zu erinnern.

 Das Rettÿ-Haus in Ansbach (2016).  Rettÿ verkaufte das Haus im März 1749 an den Oberamtmann und Obervogt von Ansbach, Christoph Ludwig von Seckendorff.
Das Rettÿ-Haus in Ansbach (2016). Rettÿ verkaufte das Haus im März 1749 an den Oberamtmann und Obervogt von Ansbach, Christoph Ludwig von Seckendorff.

Literatur:
Georg Sigmund Graf Adelmann, Topografie der kunsthistorischen Sehenswürdigkeiten, in: Kreis Ludwigsburg, Stuttgart und Aalen 1977
Rolf Bidlingmaier, Die Brüder Riccardo, Paolo, Livio und Leopoldo Retti. Eine oberitalienische Künstlerfamilie im Herzogtum Württemberg, in: Südwestdeutsche Blätter für Familien- und Wappenkunde, Band 21, Heft 13, Stuttgart 1997
Heinz Braun, Die Sommerresidenz Triesdorf der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach 1600-1791, Kallmünz 1958
Walter-Gerd Fleck, Burgen und Schlösser in Nord-Württemberg, Frankfurt am Main 1979
Corinna Höper/Andreas Henning, Das Glück Württembergs, Ostfildern-Ruit 2004
Karl-Heinz Kurzidem, Leopoldo Retty, Ansbach 2001
Emil Lacroix u. a., Die Kunstdenkmäler des Amtsbezirks Karlsruhe Land, Karlsruhe 1937
Josef Maier, Johann David Steingruber, Ansbach 1987
Norbert Mappes-Niediek, Europas geteilter Himmer. Warum der Westen den Osten nicht versteht, Berlin 2021

Martin Pozsgai, Donato Giuseppe Frisoni und der Gartenpalast Liechentenstein in Wien, in: Barock in Mitteleuropa, zugleich Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Wien Köln Weimar 2006/2007, S. 165-183
Joseph Maria Ritz, Bayerische Kunstgeschichte, Zweiter Teil, Fränkische Kunst, München 1931
Eugen Schöler/Hermann Thoma, Leopoldo Retti, Dennenlohe 2001
Edith Schoeneck, Der Bildersaal im Blauen Schloss zu Obernzenn, Ansbach 1997
Fritz Scholl, Leopoldo Retti, Ansbach 1930
Günther Schumann, Die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, Ansbach 1980
Michael Wenger, 250 Jahre Neues Schloß Stuttgart, Stuttgart 1996

Christoph Ludwig von Seckendorff-Aberdar zu Obernzenn, Obervogt und Oberamtmann zu Ansbach

Retty Palais, Bischof-Meiser-Strasse Ansbach,Grafen Seckendorff,   nächstes grosses Haus zum Palais vom Hotel Platengarten.
Retty Palais, Bischof-Meiser-Strasse Ansbach, Grafen Seckendorff, nächstes grosses Haus zum Palais vom Hotel Platengarten.

TRIESDORF/ANSBACH/OBERNZENN –

Christoph Ludwig von Seckendorff-Aberdar (*2.9.1709 Obernzenn – +22.12.1781 Obernzenn)

Markgraf Carl, heute bekannt als der Wilde Markgraf – sogar ein Käse der Lehrmolkerei Triesdorf heißt so -, war ein großer Freund der Falkenjagd.
Als sein Schwiegervaters 1730 zu Besuch im Fürstentum Ansbach war, präsentierte sich der Markgraf dem preußischen König Friedrich Wilhelm I. als ausführender Falkner einer spektakulären Falkenjagd, die an damals längst vergangene byzantinische Verhältnisse erinnern lässt.

Im Schlepptau des Königs mit dabei war nicht nur der Kronprinz Friedrich, sondern auch der gute Freund des Königs, Friedrich Heinrich Graf von Seckendorff-Gutend und dessen Neffe, Vertreter und potenzieller Nachfolger Christoph Ludwig von Seckendorff-Aberdar.

Friedrich Heinrich von Seckendorff stand als kaiserlicher Botschafter am preußischen Hof in Berlin tatsächlich in österreichischen Diensten und berichtete an den Hof Kaiser Carls VI. in Wien.

1731 wird Christoph Ludwig von Seckendorff als österreichischer Gesandtschaftssekretär bei seinem Onkel in Berlin. Als 1734 Friedrich Heinrich Graf von Seckendorff neuer Gouverneur der Festung Mainz wird, steigt Christoph Ludwig von Seckendorff zum Titularhofrat auf, ein Jahr später nach Vorschlag des Königs Friedrich Wilhelm I. gar zum Ritter der Johanniter in Sonnenburg geschlagen und mit der Kommende Lietzen belehnt. Sicher, Christoph Ludwig wurde nicht Nachfolger seines in Berlin, sondern blieb weiterhin Sekretär des Gesandten bis zu seiner Entlassung 1737.

Die große Aufgabe des Christoph Ludwig von Seckendorff lag allerdings nicht in Berlin, sondern in Ansbach. Tatsache ist jedenfalls, dass der junge Seckendorff am 23. Feburar 1736, also sechs Jahre nach der großen Falkenjagd und einen Tag vor der Geburt des Markgrafen Alexander, Markgraf Carl wieder in Triesdorf besuchte und mit ihm das Abendessen verspeiste.
Seckendorff-Aberdar schreibt in sein Geheimtagebuch (Journal Secret): „23me. [=23. Februar 1736] Je vais par Ansbach à Triesdorf où je dine et soupe avec Margrave.“ 

Interessant ist immerhin, dass jetzt ein anderer Onkel, Christoph Friedrich Freiherr von Seckendorff, die Karriere des jungen Seckendorff befördert, indem er unmittelbar nach dem Abendessen mit dem Markgrafen die markgräfliche Politik in Ansbach mit ihm bespricht. Christoph Ludwig schreibt in sein Tagebuch direkt im Anschluss unter den obigen Eintrag:
„Discurs mit meinem Onkel, dem Geheimen-Raths-Präsidenten.“
Christoph Friedrich ist seit 1735 vorderster Geheimer Minister am markgräflichen Hof in Ansbach. Schon seit 1732 wird Christoph Ludwig von Seckendorff in Rathausschachen aus Ansbach „konstant von Bürgermeistern und Räten aufgesucht“ (Bahl 1974), sodass der Neffe wohl versteht, was sein Ansbacher Onkel ihm zu sagen hat.
Christoph Ludwig von Seckendorff erlebt nach seinem Arbeitsessen mit Markgraf Carl in Triesdorf des Jahres 1736 jedenfalls eine steile Karriere am Ansbacher Hof, aber nicht sogleich.

Die „Ära Seckendorff“ (Störkel 2017) in Ansbach beginnt erst Ende des Jahres 1738. Er wird Oberamtmann und Obervogt von Ansbach. Inwieweit das berühmte Gemälde des preußischen Hofmalers Antoine Pesne aus dem Jahr 1737, welches heute in der Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg gezeigt wird, als Bewerbungsbild für Ansbach diente, bleibt Spekulation. Jedenfalls lässt sich der junge Seckendorff „in beinahe fürstlicher Pose und Gewandung porträtieren“ (Störkel 2017).

1739 konnte er „durch markgräfliche Gunst ein Haus in der Nähe des Ansbacher Schlosses erwerben und zu einem repräsentativen Stadtplalais umgestalten.“ (Schoeneck 1997). 1743 ist das Projekt Umbau abgeschlossen, denn jetzt erscheint in den Akten das Wohnhaus in der Ansbacher Jägergasse (heute Bischof-Meiser-Straße), welches er aber schon 1750 wieder verkaufen wird (Gerhard Rechter 1997).

Interessant ist, dass der Hofarchitekt Leopoldo Rettÿ im November 1743 ein eigenes Wohnhaus in der Jägergasse errichtet, viel näher am Schloss als das Seckendorffsche Palais.

Es ist wohl kein Zufall, dass Rettÿ dieses Haus, welches heute in Ansbach „Retti-Palais“ genannt wird, im März 1749 an „den Geheimen Minister und Obervogt von Ansbach, Freiherrn von Seckendorff“ (Scholl 1930) verkaufte.
Das neue Wohnhaus ensprach also viel mehr einer hochfürstlichen obervogteilichen Wohnung als das bisherige. „1747 hält sich Christoph Ludwig von Seckendorff 8 Wochen auf seinen Gütern in Obernzenn auf. Während dieser Zeit geht täglich eine Ordonnanz dorthin, die ihm über alle Vorgänge in der Stadt auf dem Laufenden hält und seine Befehle vermittelt.“ (Bahl 1974).

Die glänzende Karriere in Ansbach endete 1756. „Am 4. Mai 1756 reichte Christoph Ludwig von Seckendorff, mittlerweile gesundheitlich stark angegriffen, seinen Abschied aus ansbachischen Diensten ein.“ (Schoeneck 1997).

Der Abschied aus Ansbach kam nicht aus heiterem Himmel. Schon am 5. Februar 1756 erteilte Seckendorff dem Ansbacher Hofschreiner Samuel Erdmann Beyer den Auftrag, den bisherigen „Eß-Saal“ des Blauen Schlosses in Obernzenn zu einen „Bilder-Saal“ umzubauen. Dass es sich in Obernzenn nicht nur um einen Bildersaal mit Familenbezug handelt, sondern um ein bedeutendes Denkmal, welches Christoph Ludwig in das Zentrum einer bedeutenden und einflussreichen Familie inszeniert, zeigt das Buch „Der Bildersaal im Blauen Schloss zu Obernzenn“ (1997) von Edith Schoeneck eindrucksvoll.

Die dazugehörigen Bilder, Portraits der beiden Familien Seckendorff und Gronsfeld-Diepenbrock, stammen dabei aus dem Ansbacher Stadtpalais. „Das Inventar wird als Anspach Inventarium über die hochfreyherrliche Seckendorffsche Meubles in Anspach bezeichnet, womit das Inventar des Stadtpalais in der ‚Jägergassen’ (heute: Bischof-Meiser-Straße) gemeint war, das Seckendorff als Ansbacher Obervogt bewohnte.“ (Schoeneck 1997).

Seit 1739 war Christoph Ludwig von Seckendorff mit Wilhelmine Charlotte von Seckendorff, geb. Gräfin von Gronsfeld-Diepenbrock verheiratet. Finanziell war der Privatier abgesichert. „Im Jahre 1750 wurde ihm die Stelle und das Gehalt eines ‚Wirklichen Kaiserlichen Hofrats’ zuerkannt.“ (Schoeneck 1997, zit. nach Krieger 1992).

 

Seckendorff -Blaues Schloss zu Obernzenn – links davon Rotes Schloss zu Obernzenn

Das Fürstentum Ansbach mit der Haupt- und Residenzstadt Ansbach

Ansbach oder Onolzbach war über Jahrhunderte hinweg Hohenzollernresidenz,  des gleichnamigen Fürstentums.

Für das heutige Aussehen des Schlosses ist Markgräfin Christiane Charlotte verantwortlich, die nach dem Schlossbrand 1709 vornehmlich mit eigenem Geld, den Wiederaufbau maßgeblich vorantrieb. Sie war ja eine Tochter des Herzogadministrators Friedrich Carl von Württemberg. Der bedeutende Architekt Leopoldo Rettÿ stellte die Residenz 1738 für ihren einzigen Sohn  Markgraf Carl Wilhelm Friedrich fertig.

Heute ist dort die Regierung von Mittelfranken untergebracht, außerdem können Besucher die Prunkräume des Schlosses besichtigen.  Zur Bachwoche Ansbach finden im dortigen Festsaal grossartige Konzerte statt.

Markgräfin Christiane Charlotte von Brandenburg-Ansbach, Mutter des Markgrafen von Ansbach|Hohenzollern.
Markgräfin Christiane Charlotte von Brandenburg-Ansbach und ihr Sohn Markgraf Carl Wilhelm Friedrich | Hohenzollern

Besonders sehenswert ist die Ausstellung der Porzellansammlung der Markgräfin Friederike Luise, der Ehefrau Carl Wilhelm Friedrichs.  Eine Tochter des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. – dem Soldatenkönig,  sie legte Wert auf ihren Titel „Königliche Hoheit“.

Die tüchtige Prinzessin, gründete einen landwirtschaftlichen Musterbetrieb, auf Ihrem Lehenssitz , dem späteren Witwensitz, Unterschwaningen, sowie eine Brauerei und kaufte sich noch den Konkurrenzbetrieb in Weidenbach-Triesdorf des Obristfalkenmeisters* Ernst Wilhelm Anton von Heydenab hinzu.

Der Bruder der Markgräfin wurde 1740 König Friedrich I. in Preußen – genannt Friedrich der Große oder Alter Fritz .

Markgraf Carl Wilhelm Friedrich gründete mit der Mühlknechtstochter Elisabeth Wünsch, aus der Weinzierleiner Mühle bei Rosstal, eine Nebenfamilie.

Elisabeth Wünsch, die in jener Zeit in der Hofapotheke in Ansbach (heute Maximilianstr. 31) arbeitete, wo sich die Höflinge bis 1735 ihre „Arzeneyen“ kostenlos abholen konnten.
Die Hofapotheke lag auf dem Weg nach Triesdorf. Der Hofmarschall Franz Bernhard von Seckendorff-Gutend und der Kammerherr und Ritterrat des Kantons Altmühl Philipp Albrecht Ernst Schenk von Geyern, hatten den Markgrafen auf die junge Frau aufmerksam gemacht, die laut Memoiren der Erbprinzessin Wilhelmine von Bayreuth bereits im Herbst 1732 im Schloss lebte.

Ursprünglich sollte die Familie Falkensten heißen, der Kaiser akzeptierte den Namen nicht. Ein neuer Name wurde rasch gefunden, sodann hiess diese Nebenlinie: Falkenhausen.

Der Bruder Elisabeths, Andreas Wünsch, wurde  der Wirt des Leidendorfer Torhauses im markgräflichen Jagd- und Landsitz Triesdorf.
Unter Markgraf Carl Wilhelm Friedrich war Triesdorf Sitz der Falknerei, die er neu organisierte und später teilweise nach Gunzenhausen verlegte, wie auch das Haupt- und Landgestüt.

Heute sind die Herren und Freiherren von Falkenhausen die einzigen Nachfahren der Markgrafen von Ansbach, mit ihrem Stammsitz Wald bei Gunzenhausen, in unmittelbarer Nähe des Altmühlsees.

*Die Falkenjagd war des Markgrafen größte Passion. Er unterhielt ein Falkenkorps von 51 Personen, vom Obristfalkenmeister über die Falkenmaler bis zum Falkenjungen. Er ließ die sogenannten Falkentaler prägen und stattete sein Jagdschlösschen in Gunzenhausen mit Falkenkacheln der Crailsheimer Manufaktur aus. „Neben den Kaisern Joseph I. und Karl VI. und dem Kurfürsten Clemens August, Erzbischof von Köln, ist es vor allem der ansbachische Hof unter Markgraf Carl Wilhelm Friedrich gewesen, der die Falknerei zu einem ihrer glanzvollsten Höhepunkte in Deutschland führte.“